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Stéphane Hessel: An die Empörten dieser Erde!

Veröffentlicht am 9. Oktober 2013

»Es gibt also viel zu tun«

von Niko Stateczny

In seinem letzten Werk An die Empörten dieser Erde! Vom Protest zum Handeln fordert der im Februar 2013 verstorbene französische Philosoph Stéphane Hessel jeden auf sich als Weltbürger zu begreifen, der seinen Teil zu einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen beitragen kann.

Überall auf der Welt demonstrieren junge Menschen. In Nordafrika gegen ihre Herrscher, in Spanien, weil sie keine Arbeit finden und in den USA, weil ihnen die Macht der Finanzmärkte unheimlich wird. Und zeitgleich gab es einen 95 Jahre alten Schriftsteller, dessen Botschaften vor allem auch von diesen Demonstranten, diesen Empörten gehört wurden und werden. Wie kann es sein, dass dieser Mann, Stéphane Hessel, einen so überwältigen Erfolg hat?

Seine beiden Werke Empört Euch! und Engagiert Euch! wurden millionenfach verkauft und sind in fast jedem Winkel dieser Erde erhältlich. Wer nach der großen Faszination, die Stéphane Hessel ausübt, fragt, kann durch die Lektüre von An die Empörten dieser Erde!, der vertiefenden Denkschrift zu den beiden vorherigen Bestsellern, Antworten erhalten. Wer nun eine philosophische Denkschrift erwartet, hat Recht und liegt trotzdem falsch. Bereits der Aufbau sorgt für eine gewisse Überraschung: der Mitschrift einer Rede Hessels vor allem zum Konflikt zwischen Israel und Palästina – sowie anschließenden Fragen aus dem Publikum – folgt ein ausführliches Interview des Herausgebers Roland Merk mit dem Vordenker einer empörten Generation.

Dass man Merk – im Übrigen studierter Philosoph, wie Hessel – die Begeisterung für seinen Gesprächspartner nicht selten anmerkt: geschenkt. Viel wichtiger erscheint die Tatsache, dass sich ein Dialog entwickelt, der spannend ist für jene, die thematisch bereits vorgebildet sind, aber auch für alle, denen das politische Konzept eines Richard Rorty oder Derridas ›Telé-technique‹ fremd sind.

Hessel nimmt während dieses Gesprächs Stellung zu allen drängenden Fragen unserer Zeit: Vertrauensverlust in Politiker, Finanzkrise oder Nahost-Konflikt. Dabei bleibt er stets Gesprächspartner auf Augenhöhe und wirkt nie belehrend. Vielmehr bezieht der ehemalige Diplomat seine Autorität aus seiner eigenen, persönlichen Geschichte. Nicht nur Teilnahme am Kampf des französischen Untergrundes während des Zweiten Weltkrieges und anschließende politische Inhaftierung durch die Nazis, auch sein Mitwirken an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN machen Hessels große Besorgnis um die Zukunft des menschlichen Zusammenlebens glaubhaft.

Wer nun denkt, Hessels einzige Absicht bestehe in der Aufforderung an andere sich zu empören, der irrt. Er belässt es nicht dabei, sondern bietet Lösungen für gegenwärtige und zukünftige Probleme an. Zentral ist für ihn hierbei die Frage, wie wir mit der »Übermacht der Finanzmärkte« umgehen, die für ihn »weder transparent noch politisch kontrolliert sind«. Und immer wieder geht es ihm hierbei um die Begriffe Würde und gegenseitiger Respekt. Beides ist für den Philosophen Voraussetzung dafür, ein System gleicher Chancen und fairer Verteilung zu etablieren. Wer also die Empörten dieser Erde verstehen will, dem sei die Lektüre dieses Buches empfohlen. Und vielleicht regt diese dann auch dazu an, der Empörung ein Engagement folgen zu lassen – wenn auch nur, wie Stéphane Hessel selbst vorschlägt, in der eigenen Nachbarschaft. Einem engagierten Weltbürger geht es nämlich nicht nur um den großen Wurf, sondern um verantwortliches Handeln in jeder Situation.

Oder wie Hessel es selbst ausdrückte: »Bleibt nicht dabei empört zu sein, sondern zeigt Verantwortung und engagiert euch. «

Stéphane Hessel, Roland Merk: An die Empörten dieser Erde! Vom Protest zum Handeln. Aufbau Verlag, 2012, 10,00 €, E-Buch 7,99 €.

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