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Rezension: Esel. Ein Portrait von Jutta Person. (Naturkunden) – Matthes & Seitz, 2013.

Veröffentlicht am 30. März 2014

Vom Adel der einfachen Herzen. Jutta Person erzählt mit Sachverstand und Witz vom Eselstreiben durch die europäische Literatur und Geistesgeschichte

von Britta Peters


„Leider wissen wir nicht, was Schlegel, Novalis oder Tieck über den Esel gedacht haben. Er hätte aber ein wunderbares Wappentier abgegeben für alle, die den Schweinsgalopp des immer effizienten Handelns zu unterlaufen versuchen. Durch Stehenbleiben.“

Wenn wir über Esel sprechen, können wir über uns selbst sprechen. Über “moderne Stehenbleiber”, Zauderer und Indolente, die anthropologischen Irr- und Umwege erhoffter Wissensbildung durch die Physiognomik. Über ein Nutztier, das ökonomisch an Bedeutung verliert und doch in vielen Teilen der Welt unverzichtbarer Begleiter des Menschen bleibt. Jutta Person geht in Esel – ein Portrait den Spuren nach, die der Esel in der europäischen Literatur hinterlassen hat. Sie sichtet frühneuzeitliche naturkundliche Beschreibungen, die immer auch das Eselsbild aus der Antike aktualisieren, literarische Texte und besucht in Süddeutschland einen Eselzüchter und seine Herden.

Es ist bemerkenswert, dass es Esel sind, deren Weg durch unsere Literatur sich die Berliner Philosophin, Kulturwissenschaftlerin und Literaturkritikerin einmal genauer ansieht. In ihrem Essay, der zu einer Reihe von “Naturkunden” gehört, trägt Person unterhaltsame und denkwürdige Fundstellen zusammen. Und die haben es in sich: Da ahnt hundert Jahre vor Darwin ein Vergleich zwischen Pferd und Esel die Evolutionstheorie voraus. Das “verbotene Esel-Pferd-Gedankenspiel” schafft Freiraum, auch über Mensch und Affen nachzudenken – natürlich, ohne die Zensur zu verärgern, alles bleibt fiktiv. Und doch trottet der Esel, dem Pferd seltsam ähnlich, allem statthaften Denken durch’s sorgfältig angelegte Beet…

Während sich heute geradezu panische Abgrenzungsbemühen gegen den jeweils Anderen durch unsere Gesellschaft ziehen, wird die Erinnerung an einen unserer ältesten Kulturbegleiter zum wertvollen Dokument. Persons Essay zeigt uns am Beispiel des Esels, wie Distinktion unsere Geistesgeschichte prägt, und wie sehr selbst ein Tier mit der Interpretation seiner echten und vermeintlichen Eigenschaften in Wissenschaft und Literatur als Projektionsfläche dienen kann. Wo preisgekrönte Schriftstellerinnen mit medizinischer Unterstützung gezeugte Kinder ungeniert als “Halbwesen” bezeichnen, denen der Adel einer gesegneten Zeugung und Geburt abgehe, erinnert Person daran, dass der Jesus der Evangelien auf einem Esel in Jerusalem einzog und damit auf das edlere Pferd verzichtete. Dabei ist der mit 144 Seiten kurze, mit etlichen Abbildungen versehene Text beileibe nicht moralinsauer oder trocken, sondern ausgesprochen unterhaltsam. So sehen wir unter anderem Schiller, der in lässiger Hipsterpose auf einem Esel reitet, kuriose Halbwesen (ja, auch die!) und erfahren die Namen der Mischlinge zwischen Eseln, Pferden und Zebras.

Und was haben eigentlich der antike Autor Apuleius, Shakespeare und Nick Cave gemeinsam? Richtig, sie lassen auf die ein oder andere Weise Esel durch ihre Bücher traben. Der Esel, Kind unsicheren Terrains und felsiger Gebirgslandschaften, flieht nicht, wenn er in Gefahr ist. Instinktiv weiß er, dass rasende Flucht ihm die Beine bräche, also bleibt er stehen und lässt die Dinge an sich herankommen. Wehren kann er sich immer noch, wenn es brenzlig wird, und vielleicht naht ja auch ein Freund mit ein paar Möhren in der Tasche. Denn: “Etwas besseres als den Tod finden wir allemal”. Das stellt der Esel der Bremer Stadtmusikanten fest, was Person ausgesprochen modern findet. Das Stehenbleiben ist in der Tat modern in einer Welt, in der das Fluchtmodell des Pferdes nicht in die Freiheit, sondern auch nur anderswo ins globalisierte Überall führen muss.

Jutta Persons humorvoller Essay im standesgemäß grauen Flauscheinband ist ein kleines Schmuckstück. Er unterhält intelligent, gibt dabei Anreize, sich manche der vorgestellten Texte einmal selber vorzunehmen und er regt an, über ein Modell des sanften Widerstandes nachzudenken. Das andernorts in die Katastrophe führende, beim Esel durch gute Behandlung vorübergehende “I prefer not to” ist nicht nur Ärgernis für seinen Treiber, es ist womöglich auch ein Angebot. Denn nicht nur für Meister Langohr gilt: “Was aber auffällt, ist die Erklärungsnot, die der tierisch Duldsame quer durch die Jahrhunderte bei seinen menschlichen Herren provoziert. Je gleichmütiger der Passive die Schläge einsteckt, desto fragwürdiger scheint dem Aktiven die eigene Aktivität zu werden.”

Wer eine Anleitung zum Umgang mit seinem Haustier sucht, wird in Persons Esels-Buch nicht fündig. Wer sich aber eine Weile zu anregender und geistreicher Lektüre zurückziehen will, ist mit diesem literarischen Tierportrait ausgezeichnet beraten.

Jutta Person: Esel. Ein Portrait. Matthes & Seitz, 2013, 18 €.

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