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Heimat im Ruhrgebiet Poetry Slammer berichten über den Ort, für den ihr Herz schlägt

Veröffentlicht am 6. Februar 2015

von Anika Lehnert

»Wat is dat denn?«, fragt man sich, wenn man dieses kleine Bändchen namens Pottpoesie, herausgegeben von Dea Sinik, in den Händen hält. Es ist der beste Beweis dafür, dass die Ruhrgebietskultur viel mehr ausmacht als nur Bergbaumentalität mit Vorliebe für »’ne ordentliche Mantaplatte« zwischendurch. Das Ruhrgebiet mit seinen fünf Millionen Einwohnern ist Heimat unterschiedlichster Kulturen auf relativ kleiner Fläche. Hinter jedem Menschen verbirgt sich eine individuelle Lebensgeschichte, die nicht selten mit der Flüchtlingsthematik verknüpft ist. So stellt sich bei vielen die Frage: Wo ist meine Heimat und was macht sie aus?

Eine Antwort auf diese Frage verspricht die Pottpoesie zu geben. In dem knapp 100 Seiten umfassenden Sammelband trägt Herausgeberin Dea Sinik eine Vielzahl an Texten zusammen, die einerseits im Rahmen der Poetry Slams in Gelsenkirchen-Buer, andererseits in Schreibwerkstätten entstanden, die in den letzten Jahren unter der Regie der Germanistik-Studentin organisiert wurden. Auch von Sinik selbst sind zwei Texte in dem Band enthalten, in denen sich wunderbare Zeilen lesen lassen, wie die folgenden: »Am liebsten würde ich das Leben in Konserven verpacken, mir jedes Fitzel von Freude jetzt schnappen, um meinen Körper von der Trauer zu entschlacken« oder »Wenn manchmal schon viel gesagt wurde, bleiben einem keine Worte mehr übrig für das letzte Mal. […] Das Universum hatte einen Cocktail serviert, den ich nicht zu trinken bereit war.«

Gibt es Antworten auf die Frage, was Heimat im Ruhrgebiet bedeutet? Ja, es gibt sie. Sie werden beispielsweise von Tobias Heimann geliefert, der sagt: »Ich fühle mich wohl hier, wo die Leute manchmal schon etwas zu ehrlich sind und man baufällige Ruinen Industriekultur nennt. Hier habe ich all diese Erinnerung[en], all diese Menschen, all diese Plätze. All das ist Heimat. All das ist in mir.«

Aber das heimische Gefühl muss nicht zwangläufig an die Spezifika einer Region, wie die Zechen des Ruhrgebiets, gebunden sein: »Heimat ist ein Wohlfühlmoment. Du nennst es albern? Ich nenn es Heimat. […] Heimat ist kein Ort, Heimat ist so viel mehr«, umschreibt es Tobias Reinartz in seinem Slam Wohlfühlmoment. In Titeln wie Ketten der Heimat von Nina Anin oder Der nicht-integrierbare Teil von Ilja Budinzkij lässt sich erahnen, dass die Suche nach einem Heimatbegriff oftmals damit einhergeht, sein altes Leben hinter sich zu lassen um irgendwo anders neu anzufangen – unter welchen Umständen auch immer. In diesen Texten blitzt hinter der witzigen Fassade eines Poetry Slams Nachdenklichkeit hervor. Dahingegen liefert der Sammelband die amüsantesten Momente in den skurillen Anekdoten Auf dem Land von Tobias Reinartz und Wie Frühjahrsputz aus mir einen Abenteurer und Eremiten machte von Felix Bartsch. Während die eine Geschichte uns im Trend von Serien wie The Walking Dead erklärt, dass Landwirte zum Schutze der Menschheit gar nicht Heu, sondern Zombies gabeln, entdeckt der Protagonist der anderen Erzählung einen Untermieter in seinem Schrank. Obschon diese beiden Geschichten nicht viel mit dem engeren Heimatbegriff verbindet, tragen sie doch enorm zum Unterhaltungswert des Sammelbandes bei.

Die schönste Erzählung des Bandes ist jedoch die Geschichte namens Sommertraum von Andre Kalwitzki, der uns in seine alte Heimat an die Nordsee mitnimmt. Atmosphärisch beschreibt er das Wiedersehen mit einem geliebten Menschen nach langer Zeit. »Vielleicht war ich nicht mehr der Mensch, der ich einmal zu sein pflegte. Vielleicht habe ich einen Teil von mir damals hier allein sterben lassen, als ich in die Großstadt zog, um Karriere zu machen. Vielleicht lebte dieser Teil auch hier weiter und ließ mich in der Großstadt sterben. […] Ja, an einem Tag im August erkennt man erst, wie schön schöne Zeiten wirklich gewesen waren und was man seither wirklich vermisst.«

Dea Siniks Sammelband Pottpoesie liefert uns Antwortmöglichkeiten darauf, was Heimat für einige Menschen im Ruhrgebiet bedeutet und es lässt uns nach der letzten Seite mit der Frage zurück: Was bedeutet Heimat eigentlich für mich?

Dea Sinik (Hrsg.): Pottpoesie. Heimat. Westflügel Verlag, 2013, 9,99 €.

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