Sommersemester 2025

HS B.A./M.A.: Tiererzählungen in Fabeln und Epen (A.3, M/SG)

2st.      Mo 14‐16      GABF 04/414                      Beginn: 14.04.2025

Was eine ‚Fabel‘ ist, wusste schon der Ulmer Literat Heinrich Steinhöwel. Als er 1476/1477 seine Ausgabe der Fabeln des Äsop publizierte, gab er dem Werk folgende Definition bei: fabeln synt nit geschehene ding, sondern allain mit worten erdichte ding. und sint darum erdacht worden, daz man durch erdichte wort der unvernünftigen tier under in selben ain ynbildung des wesens und sitten der menschlichen würde erkennet. Fabeln erzählen also Geschichten, die nicht real geschehen, sondern mit Worten so erdichtet sind, dass man anhand der Rede von Tieren das Wesen und den Wert des Menschen erkennt. In der Fabel können Wolf und Lamm, Fuchs und Rabe oder Frosch und Maus tatsächlich so handeln und reden, als ob sie Menschen wären. So erklärt sich, dass Fabeln kurze fiktionale Erzählungen sind, die Wissen über den Menschen vermitteln. Im Sinne der jüngeren Human-Animal-Studies zeigen sie daher den Blick des Menschen auf die Welt der Tiere wie umgekehrt auch den Blick der Tiere auf den Menschen. Während die europäische Tradition der Fabel bis in die Antike zurückgeht, setzt sie in der deutschen Literatur des Mittelalters erst seit dem 12. und 13. Jahrhundert ein. Eng verbunden ist diese neue Tradition mit epischen Erzähltexten wie dem ‚Reinhart Fuchs‘, in dem die höfische Adelswelt satirisch dargestellt wird. Eine wirkmächtige Besonderheit ist zudem, dass die Tiererzählungen mit Bildern in verschiedenen Medien illustriert werden. Und auch so entsteht eine literarische Tradition, die sich in immer neuen Formen des Erzählens und Bebilderns als langlebig, wandlungsfähig und lebendig erweist.

Im Seminar werden wir zunächst die Grundlagen für das Verständnis der Tierfabel und des Tierepos anhand ausgewählter Text-Bild-Beispiele erarbeiten. Danach wird es um die Analyse und Interpretation zentraler Fabelsammlungen und tierepischer Dichtungen gehen, wobei einen Schwerpunkt die Frage nach dem Wissen über das Verhältnis von Mensch und Tier bilden soll.

Zur Einführung in das Thema: Almut Suerbaum: Fabel. In: Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen. Stuttgart 2002 (Universal-Bibliothek 2002), S. 89-110; Julia Weitbrecht: Lupus in fabula. Mensch-Wolf-Relationen und die mittelalterliche Tierfabel. In: Tiere im Text. Hrsg. von Hans Jürgen Scheuer und Ulrike Vedder. Bern 2015, S. 23-35. Text-Bild-Materialien und Forschungsliteratur werden in Moodle zur Verfügung gestellt.

TN: Regelmäßige Teilnahme und Mitarbeit an einem Referat mit Vortrag und Arbeitsphase. LN: mündliche Prüfung oder schriftliche Hausarbeit. Sprechstunden: montags 12-13 Uhr.

Wintersemester 2024/25

Hauptseminar: Liebe, Politik und Kunst: Die Lyrik Walthers von der Vogelweide (A.3, M/SG)

Mo 14-16h, GABF 04/414, Beginn: 14.10.2024

Walther von der Vogelweide gilt als bedeutendster Lyriker der deutschen Literatur des Mittelalters. In den Jahrzehnten um 1200 hat er die noch jungen Traditionen des Liebesliedes und der Sangspruchdichtung wegweisend erneuert. Seine Lieder und Sangsprüche zeigen, wie sich die höfische Lyrik in einer entscheidenden Phase ihrer Geschichte inhaltlich, formal und funktional differenziert entwickelt: Walthers Liebeslieder erweitern den Minnesang um bis dahin nicht gekannte neue Ausdrucksmöglichkeiten (Vielfalt der ich-Stimme), Liedformen (Inszenierung von Weiblichkeit) und Liebeskonzepte (Entwürfe gegenseitiger Liebe); seine Sangsprüche vollziehen erstmals den Schritt zu politischen Themen, die zeitkritisch über die Verhältnisse von Herrschaft und Macht ansprechen, und zwar so, dass Literatur nun zum Medium öffentlicher Kommunikation wird. Nicht zuletzt geht Walther darin neue Wege, dass seine Lyrik die prekäre Stellung von Kunst und Literatur in der Gesellschaft realitätsgesättigt zur Sprache bringt.

Im Seminar werden wir solche Walther-Texte behandeln, die in verschiedenen Fassungen erhalten sind und durch ihre Bedeutung für die Traditionen von Liebe, Politik und Kunst um 1200 herausragen. Wie unter dieser Perspektive eine neue Sichtweise auf die Lyrik Walthers zu gewinnen ist, wird dann mit dem Blick auf jüngere und jüngste Forschungspositionen zu fragen sein.

Textgrundlage: Walther von der Vogelweide: Werke. Bd. 1: Spruchlyrik. Bd. 2: Liedlyrik. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Verbesserte Aufl. hrsg. von Ricarda Bauschke. Stuttgart 2009/2011 (Universal-Bibliothek 819/820).Die beiden Bände dieser Textausgabe bieten Einführungen zu Leben und Werk Walthers. – Texte und ausgewählte Forschungsliteratur werden den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Verfügung gestellt.

Codex Manesse, Blatt 124r – Walther von der Vogelweide

Sommersemester 2024

Hauptseminar: Geschichte in Geschichten: Die Kaiserchronik (A.3, M/SG)

Mo 14-16h, GD 03/144

Mit der Kaiserchronik entsteht kurz vor 1150 die älteste deutsche Geschichtsdichtung, die rasch zu einem Leittext und Leitmodell der volkssprachigen Literatur aufsteigt. Die außergewöhnlich erfolgreiche Chronik stellt die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches vom ersten Kaiser Julius Cäsar bis in die zeitgenössische Gegenwart dar. Dies aber geschieht so, dass Kaiser und Reich oft nur das äußere Gerüst für ein kreatives und überraschendes Erzählen von Beispielgeschichten, Fabeln und Legenden bilden: So bringt ein römischer Kaiser eine Kröte zur Welt, nachdem er seine Ärzte gezwungen hat, ihn eine Schwangerschaft erleben zu lassen. Als ein Zauberer einen Stier mit Worten tötet, erweckt der Papst das Tier wieder zum Leben. Die unschuldige Lucretia tötet sich selbst und stellt so ihre Ehre als Ehefrau wieder her. Anders die verfolgte Crescentia, die schlimmste Strafen erduldet und am Ende selbst Recht spricht. Auf diese Weise erzählt die Kaiserchronik, statt von großen Herrschertaten zu berichten, Geschichte in besonderen Geschichten. Es sind dies Geschichten, die nicht nur spannend unterhalten, sondern für sich historische Wahrheit beanspruchen.

Im Seminar werden wir näher fragen, woher die in der Kaiserchronik erzählten Geschichten stammen, wie sie narrativ gestaltet sind und welche Funktionen sie haben. Neben den Themen Herrschaft und Macht, Liebe und Ehe wird es dabei um den Entwurf von Weltgeschichte gehen. Nicht zuletzt könnte es das Ziel sein, die Erzählkunst der Kaiserchronik mit Blick auf die Vermittlung im Deutschunterricht produktiv zu machen. – Ausführliche Hinweise zu Planung, Arbeitsweise und Anforderungen des Kurses gebe ich in der ersten Seminarsitzung zu Beginn des Seminars.

Text / Einführung: Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mhd./Nhd. übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von M. Herweg. Stuttgart 2014. (Universal-Bibliothek 19270). Neben einer Übersetzung in modernes Deutsch bietet diese Ausgabe im Nachwort eine lesenswerte Einführung sowie einen nützlichen Kommentar zum Text. – Materialien und Forschungsliteratur stelle ich den Teilnehmer/innen in einem Moodlekurs zur Verfügung.

Wintersemester 2023/24

Hauptseminar: Exemplarisches Erzählen: Ulrich Boners Edelstein in Text und Bild (A.3, M/SG)

Mo 14-16h, GABF 04/414

„Dieses Büchlein darf wohl ‚der Edelstein‘ heißen: Denn es birgt in sich Beispielgeschichten über kluges Handeln und bringt weise Einsichten hervor – so wie auch der Dornbusch die Rose hervorbringt.“ Mit diesen Worten erklärt und rechtfertigt Ulrich Boner den Werktitel und den Erkenntniswert seines um 1350 gedichteten Edelstein. Boners Werk war dabei eine literarische Neuheit: Es war die erste Sammlung von 100 Fabeln in hochdeutscher Sprache, angelegt als geschlossene ‚Gesamtausgabe‘ und geleitet von dem Ziel, den Lesern/innen im Umgang mit den Erzählungen und deren Auslegung Wege zu eigener Erkenntnis zu vermitteln. Eben dies geschieht in kurzen fiktionalen Erzähltexten, die als äsopische Fabeln bezeichnet werden und als solche bis heute bekannt sind: Programmatisch für Boner ist die Geschichte von dem Hahn, der einen kostbaren Edelstein findet, dessen Wert er jedoch nicht zu erkennen vermag; und politisch zu deuten ist etwa die Fabel von Wolf und Lamm, in welcher der Wolf mutwillig nach Gründen sucht, um seine Aggression gegen das Lamm zu legitimieren. Nicht zufällig handeln Boners Fabeln daher auch das Thema gesellschaftlicher Freiheit (vrîheit) ab. Der Edelstein war dabei auch deswegen ein sehr erfolgreiches Werk, weil die Fabeltexte in der handschriftlichen Überlieferung meist mit illustrierenden Bildern präsentiert wurden. Und so war es auch Boners Edelstein, der 1461 als erstes gedrucktes Buch mit Holzschnitten bebildert und nicht zuletzt wegen seiner Text-Bild-Gestaltung seit dem frühen 18. Jahrhundert von prominenten Autoren wie C. F. Gellert und G. E. Lessing literarisch neu entdeckt wurde.

Im Kurs werden wir zunächst die Fabel als literarische Gattung in Grundlagen und Geschichte anhand von Text-Bild-Beispielen kennenlernen. Boners Edelstein wird dann ins Zentrum rücken, indem wir fragen, wie Text und Bild die Fabel-Präsentation bestimmen. Dabei wird es inhaltlich darum gehen, welches Wissen die Fabeln über das Verhältnis von Tier und Mensch vermitteln und inwiefern sie politisch sind. Berührt ist damit schließlich auch die fach- und schuldidaktische Dimension der Fabel.

Text-Bild-Materialien und Forschungsliteratur werden den Teilnehmer*innen in Moodle zur Verfügung gestellt.

Sommersemester 2023

Hauptseminar: Hartmann von Aue Gregorius und Thomas Mann Der Erwählte (A.3)

Mo 14-16h, GABF 04/414

Hartmann von Aue erzählt – um 1185 – die Geschichte eines ‚guten Sünders‘: Gregorius geht aus einer Geschwisterliebe hervor und wächst als Findelkind in der Fremde im Kloster auf. Als er in die höfische Welt zurückkehrt, heiratet er unwissend seine Mutter, eine ‚Sünde‘, für die er 17 Jahre als Einsiedler auf einer Felseninsel im Meer büßt, um zuletzt auf wunderbare Weise durch göttliche Gnade geheiligt zu werden. Was Hartmanns Erzählung dabei bis heute zu einer spannenden Lektüre macht, ist nicht nur das provokante Leben des Helden, dessen brüchige Identität durch seine doppelte höfische und klösterliche Herkunft geprägt ist. Der Text hat zugleich eine vielschichtige Erzählform, deren kunstvolle Gestaltung sich gerade im Vergleich mit Hartmanns französischer Quelle – der Legende des heiligen Grégoire – zeigt. Nicht zuletzt war es Thomas Mann, der Hartmanns Gregorius-Geschichte in seinem Roman Der Erwählte (1951) neu erzählt und für die Moderne spielerisch umgedeutet hat.

Im Kurs werden wir Hartmanns Gregorius und Thomas Manns Der Erwählte intensiv lesen. Schwerpunkte bilden einerseits Analysen der erzählten Figuren, Dinge und Räume, anderseits geht es uns um Fragen der literarischen Gattung, intertextueller Bezüge und der historischen Kontexte mit ihren unterschiedlichen Diskursen. Ein wichtiges Ziel wird es sein, gemeinsam eine Textinterpretation zu erarbeiten, die den Fokus auf die Identität des Gregorius und seiner Mutter legt.

Textausgaben: Hartmann von Aue: Gregorius, Der Arme Heinrich, Iwein. Hrsg. und übers. von Volker Mertens. Frankfurt am Main 2008 (Deutsche Klassiker/Taschenbach); Thomas Mann: Der Erwählte. Roman. 29. Aufl. Frankfurt am Main 2012.