1. Beruf oder Berufung? Lehrerpersönlichkeiten und Unterrichtsstile im Fach Deutsch
Vieles hat man in der über zweihundert Jahre langen Geschichte der Deutschdidaktik diskutiert: Wie man Sprech- und Schreibstile vermittelt, wozu man literarische Texte braucht, ob das kulturelle Gedächtnis auch ein nationales sein soll, was man mit Medien tut oder wie sich Lern- und Erfahrungsprozesse bei SchülerInnen vollziehen. Neben den Sachen, den Inhalten und den Methoden ist aber für das Fach Deutsch ein entscheidender Faktor fast unberührt geblieben: Die Persönlichkeit der Lehrenden, ihre Perspektiven, Hoffnungen und auch ihre Probleme, die spezifisch im Fach Deutsch auftreten können.
Umso mehr ist es nötig, den Lehrberuf zu erforschen, als dieser in den letzten Jahren unter allseitigen Druck geraten ist. Und wie man nicht erst seit den Veröffentlichungen des NRW-Schulministeriums im Februar 2011 weiß, häufen sich die Fälle eines frühzeitigen Ausscheidens bzw. die Anträge auf Frühpensionierung wegen Dienstunfähigkeiten oder psychosomatischer Erkrankungen. Teilweise sind diese durch äußere, auch schulpolitische Umstände induziert. Allerdings ergäbe es ein falsches Bild, wenn man die Ursachen einzig in den Strukturen suchen würde – zum Teil sind dafür auch die subjektiven Dispositionen der LehrerInnen verantwortlich zu machen, die einen guten oder schlechten Berufsverlauf bedingen.
Hier setzt die Langzeitstudie an, die im Winter 2011/12 an der Ruhr-Universität Bochum mit 109 beteiligten Studienbeginnern des M.Ed.-Faches Deutsch begonnen wurde. Gefragt wurde nach Berufseinstellungen, Motivationen, Leistungsaspekten, Freizeitinteressen, Mediengebrauch und ‑kenntnissen sowie insgesamt nach den Selbstkonzepten der LehramtskandidatInnen. Dieser empirisch-statistische Angang und die Auswertung mit SPSS wurde durch qualitativ-narrative Interviews gestützt.
In den nächsten Jahren sollen alle Altersgruppen unter den DeutschlehrerInnen erfasst werden, und zwar auch durch Analysen von Tagebuchaufzeichnungen, Selbsterzählungstexten und Notizen aller Art, die den Schulalltag betreffen.
Als Pilotstudie liegt vor:
Beruf oder Berufung? DeutschlehrerInnen im Fokus. Hrsg. von Ralph Köhnen (mit weiteren Beiträgen von Birthe Büttner und Lydia Schindler). Bochum: projekt verlag 2014 (=Bochumer Beiträge zur bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Theorie und Forschung, Band 3)
2. Optimierung des Ich. Diskurskritische Analyse von Selbstschriften
Das Thema der Lebenskunst ist seit Aristoteles‘ Nikomachischer Ethik und den spätantiken Notizbüchern in verschiedenen Bereichen weiterentwickelt worden: Medizin, Psychologie, Theologie, aber auch Ökonomie. Im Medium des Tagebuchs (bzw. Hausbuchs) kreuzen sich seit der Frühen Neuzeit diese diskursiven Entwicklungen. Zugleich verheißt die damit angestrebte Optimierung der eigenen Lebensführung nicht nur Verbesserung, vielmehr werden die dabei anfallenden Daten zum Objekt der Statistiker, Politiker und Großkonzerne, wenn die neuesten Medien die permanente Aufzeichnung der Körper- und Stimmungswerte ermöglichen. Historisch soll dieser Aspekt von der Frühen Neuzeit mit Praktiken der doppelten Buchführung und der Diaristik über die modernen Tagebücher bis zu digitalen Blogs verfolgt werden, aber auch zu Apparaten aller Art, die heute ein weitergehendes Self-Tracking ermöglichen. In einem Re-Entry-Prozess ist dies wiederum zum Gegenstand der Literatur geworden (so etwa in Rainald Goetz‘ Blog-Zyklen, Dave Eggers Der Circle), woran neue Poetiken ablesbar werden.
Als Vorabskizze: Ralph Köhnen: Die Selbstpoetik des guten Lebens. Optimierungsprogramme in der Diaristik seit der Frühen Neuzeit. In: Anna Sieben/Katja Sabisch-Fechtelpeter/Jürgen Straub (Hg.): Menschen machen. Die hellen und dunklen Seiten humanwissenschaftlicher Optimierungsprogramme. Bielefeld: transcript 2012, S. 409-444