Workshop: Latein und Deutsch zwischen 1100 und 1600

Internationales Arbeitsgespräch und interdisziplinäre Forschungsperspektiven

Digitaler Workshop an der Ruhr-Universität Bochum, 24.-25. Juni 2021

Vortragende und Teilnehmende: Christel Meier-Staubach (WWU Münster), Nikolaus Henkel (ALU Freiburg), Linus Ubl (University of Oxford), Julia Frick (Universität Zürich), Jan-Hendryk de Boer (Universität Duisburg Essen), Holger Runow (LMU München), Tanja Mattern (HHU Düsseldorf), Julia Brusa (Universität Genf), Simone Schultz-Balluff (Universität Bonn), Agata Mazurek (Universität Bern), Timo Bülters (Universität Bonn), Claudia Wittig (Ruhr-Universität Bochum), Rebekka Nöcker (Universität Tübingen), Caroline Fußbach (Ruhr-Universität Bochum), Vanessa-Nadine Sternath (Universität Kassel), Christoph Uiting (Universität Zürich), Oleg Shukow (Universität Duisburg-Essen)

Flugblatt: Latein und Deutsch 2021 Workshop

Programm [Stand 07.06.2021]: Programmübersicht

Tagungsbericht: Caroline Fußbach: https://mittelalter.hypotheses.org/27001

Das gemeinsame Wirken lateinischer und deutscher Texte, das Zusammenspiel der Sprachen und die fruchtbaren Wechselwirkungen von Latein und Deutsch führt uns die vormoderne Literatur immer wieder vor Augen, beispielsweise in der Lyrik, in Sammlungen und Sammelüberlieferungsträgern oder in diversen Übersetzungsprojekten. Dabei wird eine breite Fülle erreicht, die zur Erforschung einlädt und seit jeher das Interesse der Philologien erregt. Die germanistische Mediävistik unternahm vor über 30 Jahren mit dem Regensburger Colloquium ‚Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500‘ (1988) unter der Leitung von Nikolaus Henkel und Nigel Palmer eine umfangreiche Positionsbestimmung der Forschung und auch eine grundlegende Wegbereitung für weiterführende Studien. (Zugehörige Publikation: Henkel, Nikolaus/ Palmer, Nigel F. (Hgg.): Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500. Regensburger Colloquium 1988. Tübingen 1992.)

In den letzten Jahren erfuhr das Verhältnis von Latein und Deutsch eine hohe Aufmerksamkeit in verschiedenen Projekten. Die Rezeption der Antike vom 15. bis zum 16. Jahrhundert und der sprachliche, bildliche und allgemein mediale Transfer in die Volkssprache wurde an Vergils Aeneis (Julia Frick: Thomas Murners Aeneis-Übersetzung), an Suetons Kaiserviten (Kerstin Brix: Sueton in Straßburg), an Ciceros De officiis (Jessica Ammer: Der deutsche Cicero) und in übergreifenden Studien (Catarina Zimmermann-Homeyer: Illustrierte Frühdrucke lateinischer Klassiker um 1500) untersucht. Umfangreich angelegte Projekte wie „Klassiker im Kontext: Zur Funktionsweise medialer Transferprozesse am Beispiel frühneuzeitlicher Klassikerverdeutschungen (ca. 1460/70 bis ca. 1580/1600)“ (Bernd Bastert/ Manfred Eikelmann) und Forschungsnetzwerke wie „Humanistische Antikenübersetzung und frühneuzeitliche Poetik in Deutschland (1450–1620)“ (Regina Toepfer/ Johannes Klaus Kipf) vervollständigen das Bild. Das Projekt „’Natura‘ als kosmische und politische Ordnungsinstanz bei Alanus ab Insulis und in der lateinischen sowie volkssprachlichen Rezeption“ (Beate Kellner/ Frank Bezner) untersucht den diskursiven und konzeptuellen Niederschlag der Natura des Alanus, womit es über reine Quellen- und Traditionsbetrachtung hinausgeht. Das Erfassungs- und Datenbankprojekt „Online-Repertorium der mittelalterlichen deutschen Übertragungen lateinischer Hymnen und Sequenzen (Berliner Repertorium)“ (Andreas Kraß), dessen Grenze das Jahr 1600 darstellt, beschreibt Vorlagen, Verdeutschungen und Handschriften bzw. Textzeugen, womit es umfangreiches Material verfügbar macht. Freilich stellt diese Aufzählung nur einen Ausschnitt dar – viele weitere Studien und Projekte wären zu nennen. Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands und der Ergebnisse der Projekte – hier kann insbesondere „Klassiker im Kontext“ als impulsgebend genannt werden – wird evident, dass die germanistische Mediävistik das Verhältnis von Latein und Volkssprache neu diskutieren muss.

Der Workshop verfolgt daher das Ziel, die gegenwärtige Forschung des skizzierten Feldes ins Gespräch zu bringen, aktuelle Interessenschwerpunkte zu bündeln und Perspektiven zu entwickeln, um vor diesem Hintergrund die Diskussion zum Verhältnis von Latein und Volkssprache weiter zu führen. Der umfassende Ansatz des Regensburger Colloquiums lässt sich im angestrebten Rahmen des Workshops nicht wiederholen, jedoch mit der jüngeren Forschung zusammenbringen. So offenbart die gegenwärtige Forschungslandschaft, dass die Ausdehnung des zeitlichen Rahmens bis 1600 und bestimmte Schwerpunkte produktiv zu machen sind:

Transfer

Impulse: Während lingualer Transfer die Ebenen des Übersetzens berührt, nimmt medialer Transfer auch die bildhafte und/oder paratextuelle Erschließung eines Textes sowie den Wechsel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den Blick. Bei Transferprozessen zwischen Latein und Deutsch muss immer auch ein kultureller und ggf. sakraler Transfer mitgedacht werden. Die Volkssprache und ihr Kulturbereich ist dabei keineswegs nur nehmend beteiligt: Transfer zwischen Latein und Deutsch passiert in beide Richtungen, sodass sprachliche und grammatische Phänomene, Wissensvermittlung und weitere Einflüsse nicht einseitig festgelegt, sondern als Wechselwirkungen verstanden werden können.

Materialität

Impulse: Das gemeinsame Präsentsein von lateinischen und deutschen Texten in Überlieferungsträgern oder verschiedenen Formen von Sammlungen, z.B. Buchbeständen, darf wohl als eine ‚Grundform‘ bezeichnet werden, in der uns die Texte entgegen treten. Das Spektrum reicht von einzelnen Glossen und Annotationen über sorgfältig geplante Handschriften oder spätere Synthesen bis hin zu spezialisierten Präsentationsformen und -formaten. Ebenso folgen Sammlungen verschiedenen Organisationskriterien. Die Relationierung von Einzelobjekt und Sammlung sowie der Anteile und (Funktions-)Bereiche von lateinischen und deutschen Texten in beidem ist für die Diskussion des Verhältnisses von Latein und Deutsch einschlägig. Auch die Orte, an denen Einzelobjekte und Sammlungen zugegen sind oder entstehen, beispielsweise das Kloster, die (Hof- o. Humanisten-)Bibliothek etc., gilt es zu perspektivieren.

Kontexte

Impulse: Dichtung, Wissensliteratur, Religion(en), Rezeption der Antike, Humanisten, städtische Eliten, Höfe und Klöster, Drucker und Druckernetzwerke sind nur einige Schlagworte, mit denen sich Kontexte bezeichnen lassen. Insbesondere Latein als gemeinsame Bildungssprache leistet eine Anbindung der Volkssprachen an europäische Kontexte, womit ein umfangreicher ‚Bildungs- und Kulturschatz‘ für das Deutsche eröffnet wird. Umgekehrt gibt es Bereiche, Gattungen und Textformen, in denen die Volkssprache dominiert. Dabei treten Texte in Kontakt, auch mit anderen Medien, sodass sich – das zeigt die Forschung immer wieder – derartige und weitere Kontexte und Kontakte äußerst gewinnbringend befragen und Verhältnisse konkretisieren lassen.

Die Ergebnisse des Workshops werden in einem Sammelband publiziert, der für 2024 erwartet wird.

Der Workshop wird gefördert durch die Global Young Faculty, eine Initiative der Stiftung Mercator und der Universitätsallianz Ruhr, koordiniert durch das Mercator Research Center Ruhr.