Das Projekt Selbstbildung und Wissenschaftsgeschichte untersucht akademische Biografien von Studierenden der Geisteswissenschaften. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Philologien mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt und besonders die Germanistik. Einerseits geht es um Wissenschaften, deren Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg interessiert. Andererseits geht es um die Darstellung von Praktiken des Studiums, einzelner Studienverläufe und ihrer Kontexte, die vor dem Hintergrund studierter Wissenschaften, ihrer Fachkulturen und historischen Entwicklung stehen. Ausgangsmaterial ist die schwer zugängliche Quellengattung sogenannter „Semesterberichte“ der Studienstiftung des deutschen Volkes, die für den Zeitraum von den 1950er zu den 1980er Jahren analysiert wird.
Durch alle berücksichtigten Jahrzehnte zeigen die Semsterberichte eine Praxis geisteswissenschaftlichen und speziell philologischen Studiums, die riskant und hoch unwahrscheinlich scheint und in der das Studium zwar eine erfüllende Erfahrung ist, aber auch prekär individualisiert und konstitutiv krisenhaft wirkt und zu Konzepten einfachen Lernens, Wissenserwerbs und funktionaler (Zweck-)Orientierung in Spannung steht. Zudem wirken (Geistes-)Wissenschaften als Räume, in denen Fortschritt möglich und gesucht ist, sich jedoch im Rahmen von Grunddichotomien bewegt, die die Reflexion herausfordern, aber zugleich limitieren, womit ein komplexes Wechselspiel von Entwicklung und Stasis entsteht. In den Semesterberichten erscheint dies in actu und in der Konkretion individueller Praxis. Das Projekt gewinnt aktuelle Signifikanz durch die Frage, inwiefern Geisteswissenschaften und besonders Philologien akademische Lebensformen erzeugen bzw. als solche im Studium erprobt werdenund inwiefern diese durch die gesellschaftlichen und hochschulischen Entwicklungen der Gegenwart unter Druck geraten sind und sich aufzulösen drohen.
Das Projekt wird nach umfangreichen Vorarbeiten seit Juni 2021 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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