Historie, Moderne und Praktikum
Anfang März 2020 trat ich meine Reise im Rahmen der germanistischen Institutspartnerschaft Kiew an. Für das vierwöchige Praktikum an der Taras-Schewtschenko-Universität Kiew hatte ich mich im Sommer 2019 beworben und bereits da eine Zusage erhalten. Durch diese lange Zeitspanne war es mir optimal möglich, mich um alle Vorbereitungen zu kümmern. Hierdurch freute ich mich sowohl auf mein Praktikum als auch auf das Entdecken, eines von mir zuvor noch nicht bereisten Landes.
Diese Vorfreude wurde im Vorfeld durch die Kommunikation noch verstärkt. Die leitende Dozentin in Bochum half mir bei der Unterkunftssuche und stand mir mit hilfreichen, organisatorischen Tipps, beispielsweise bezüglich der Flugbuchungen und dem Geldwechsel in der Ukraine, zur Seite. Dennoch war es mir möglich, alles nach meinen Wünschen zu planen und so aktiv an der Praktikumsplanung beteiligt zu sein.
Die Dozentinnen des Lehrstuhls für die deutsche Sprache traten ebenfalls vorab per Mail mit mir in Kontakt. Sie boten mir Ihre Hilfe bei der Abholung vom Flughafen an und nannten mir geplante Kurse, in denen ich bei Interesse mit unterrichten dürfte. Der Lehrstuhl pflegt den engen Kontakt mit einer DSD Schule im Stadtteil Obolon. Mir wurde ebenfalls vorab die Möglichkeit geboten Unterrichtseinheiten im schulischen Kontext zu übernehmen. Dies nahm ich gerne an. Somit konnte ich sowohl die Lehrtätigkeit am Lehrstuhl kennenlernen als auch einen Einblick in das ukrainische Schulsystem erlangen. Zusätzlich sendeten die Dozentinnen mir Ihre Handynummern, damit ich mich im Falle von Komplikationen sofort bei Ihnen melden könne. Diese zuvorkommende, freundliche und hilfsbereite Art wurde durch den persönlichen Kontakt vor Ort umso mehr bestätigt.
Bereits an meinem ersten Tag, hießen sie mich herzlich willkommen. Ein paar Studentinnen führten mich sofort über den Campus und zeigten mir ihre Lieblingsplätze. Die Taras-Schewtschenko-Universität versprüht mit ihren imposanten Gebäuden, im Herzen von Kiew, einen ganz besonderen Charme.
Die Dozentinnen ließen auch bei der Unterrichtsgestaltung viel Raum für eigene Ideen. Ich dufte vier Seminare übernehmen, bei denen ich zu Beginn hospitierte und ab der zweiten Woche selbstständig und alleine unterrichtete. Die Erstellung der Materialien hat mir große Freude bereitet. Da die Seminare nachmittags stattfanden, hatte ich die Zeit an drei Vormittagen, in der DSD-Schule zu unterrichten.
Der Besuch der DSD Schule war für mich ein besonderes Highlight. Der Stadtteil Obolon stellt mit seinen Plattenbauten einen absoluten Kontrast zu den schicken Altbauten der Uni dar. Eine Metropole wie Kiew hat eben mehr zu bieten, als die bekannten Sehenswürdigkeiten des Stadtzentrums. Ich erfuhr jedoch direkt, dass es sich um eine beliebte und begehrte Wohngegend für Familien handle. Das Engagement der Dozentinnen äußerte sich durch die Hilfestellung bei organisatorischen Abläufen. So half mir eine Dozentin beim Erwerb der Metrokarte und dem Kauf einer ukrainischen SIM-Karte. Darüber hinaus erklärte sie mir das Metrosystem und begleitete mich sogar bei meiner ersten Metrofahrt sowie dem Kennenlernen der Rektorin.
Für die Unterrichtsplanung traf sich der Deutschlehrer sogar nach der Arbeit mit mir in einem Café. Er empfahl mir eine Internetplattform mit einem Fundus an Unterrichtsmaterialen. Ich erfuhr, dass es auch Vorteile haben kann, sich nicht in einem EU Land zu befinden. Ich plante eine Unterrichtsreihe zum Thema Gesundheit.
Die Seminarräume der Universität sind – dem Altbau geschuldet – deutlich kleiner als die mir bekannten aus Bochum. In meinen Kursen waren maximal 10 Studenten anwesend. Die Seminarräume sind nur mit einer Tafel und Kreide ausgestattet. Daher dachte ich mir beim erstmaligen Betreten, dass die Leitung eines Seminares für mich noch spannender als bereits angenommen wird. Dennoch waren die Dozentinnen bestens vorbereitet und brachten ihren eigenen Laptop und Beamer mit. Ich war beeindruckt. Sie boten mir an, diesen auszuleihen.
Daraufhin bereitete ich meinen Unterricht dementsprechend vor und sendete diesen vorab an die Studenten. Ich entwarf, auf die Wünsche der Studenten zugeschnitten, beispielsweise fünf Sitzungen zum mündlichen Präsentieren im akademischen Kontext.
Die Studenten sind überaus höflich. Sie lesen die Texte eifrig und arbeiten sehr interessiert mit, kamen bestens vorbereitet zum Unterricht und machten es mir daher leicht, eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Sie betonten stets, wie glücklich sie darüber sind, eine Muttersprachlerin als Ansprechpartnerin zu haben. Ich freute mich, dass meine sprachlichen Kompetenzen bereichernd für sie waren. Dennoch habe ich mindestens im gleichen Umfang von ihnen profitiert. Durch die Tutoriumstätigkeit durfte ich einen Einblick in das Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache bekommen. Ebenso war der Einblick in das Ausbildungssystem eines finanziell und politisch anders aufgestellten Landes von besonderem Mehrwert für mich.
Kiew ist eine wunderschöne Stadt, die mit viel Historie und beeindruckenden architektonischen Bauten, sowie einem Mix aus Moderne und Tradition aufwartet. Ich hatte das große Glück eine wunderbare, private Stadtführung von einer Studentin zu bekommen. Sie zeigte mir voller Stolz beispielsweise die St-Andreas Kirche und führte mich zu einem privaten Kunstverkauf in einer alten Nebenstraße. Bereits nach einem Tag hatte Kiew mich für sich gewonnen.
Die überaus gastfreundliche Art der Ukrainer zeigte sich daran, dass mich eine Dozentin, nachdem sie über fünf Stunden am Stück unterrichtete, spontan zum Essen einlud. Wir gingen gemeinsam nach dem Unterricht in ein kleines Café unweit der Universität. Hier war es von großem Vorteil, dass eine Muttersprachlerin das traditionelle Gericht für mich bestellen konnte.
Leider wurde mein Praktikum durch die Ausbreitung des Coronavirus, Covid-19 vorzeitig beendet. In diesem Zusammenhang möchte ich sowohl den Dozentinnen aus Kiew danken, welche mich sofort anriefen und über die aktuellen Entwicklungen informierten, als auch den Dozenten der RUB, Frau Schuttkowski und Herr Prof. Dr. Rothstein. Meinem Entschluss, nach einer kurzfristigen Quarantäneanordnung der Stadt Kiew bereits am nächsten Morgen auszureisen, wurde nicht nur sofort per Telefon am späten Abend zugestimmt, sondern mir wurde im gleichen Atemzug Hilfe bei der Flugumbuchung angeboten. Ich habe mich in dieser besonderen Situation zu keinem Zeitpunkt alleine oder schlecht betreut gefühlt. Zusätzlich durfte ich mein Praktikum aus Deutschland fortsetzen. Die Kiewer Studenten betreute ich per Distanzlehre weiter. Die Dozentinnen aus Kiew waren hierbei eine große Hilfe. Für diese Möglichkeit bin ich nicht nur froh, sondern nun um eine unerwartete, didaktische Erfahrung reicher. Die Zusammenarbeit der beiden Universitäten selbst zu Pandemiezeiten war beeindruckend. Ich würde dieses Praktikum, trotz des schwierigen Verlaufes gegen Ende, jederzeit wieder antreten. Für all die Kontakte, die ich knüpfen durfte und das Eintauchen in eine fremde Kultur, dem Erlernen der kyrillischen Basics für den Alltag durch die Studenten, sowie die Tutoriumstätigkeit im Bereich Deutsch als Fremdsprache, bin ich überaus dankbar.
Sophie Ingenillen (März 2020)